Buchbesprechung: Diese ganzen belanglosen Wunder

Dieser Beitrag enthält eine Rezension (Rezensionsexemplar erhalten) und Links. Mehr dazu hier.

Wenn ich ein Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, ist dies ein gutes Zeichen. Wenn ich noch Tage später daran denke, ebenfalls. Wenn ich manche Sätze mehrfach lese, weil sie so schön poetisch sind, genauso.

„Diese ganzen belanglosen Wunder“ von Leona Stahlmann erfüllt all diese Kriterien und liess mich begeistert zurück.

Der Inhalt (gemäss Klappentext)

Eine karge Salzmarschlandschaft, eine stillgelegte Saline, ein Schuppen voller Seidenhühner. Hier lebt der Junge Zeno mit seiner Mutter Leda. Doch irgendwann kann Leda dem Jungen nicht länger beim Verlieren seiner Welt zusehen und verschwindet. Dafür taucht Katt in den Marschen auf, sie flieht vor einer verlorenen Liebe aus der grossen Stadt am Fluss. Und genau die Fragen, die Leda zum Gehen bewegt haben, lassen Katt bei Zeno bleiben: Wie können wir die Hoffnung bewahren, wenn die Welt vor die Hunde geht? Und braucht ein Kind vier Jahreszeiten und eine Zukunft? Ein schillernder Roman über die zerstörerische, aber allzu menschliche Sehnsucht nach Natur, lebensrettende Wahlverwandschaften und die Hoffnung, die in den Gezeiten liegt.

Meine Meinung

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Und so war eigentlich alles, was mir an diesem Buch so sehr gefallen hat, gleichzeitig auch Grund für einige Fragestellungen.

Lass uns mit der unglaublich poetischen Sprache beginnen. Schon bei ihrem vorherigen Roman „Der Defekt“ habe ich festgestellt: diese Frau kann einfach fantastisch mit Worten umgehen. Ungewöhnliche und packende Metaphern und ein richtig toller Stil. Gleichzeitig gehört zu diesem Stil auch eine Satzlänge, die bestenfalls als ungewöhnlich zu beschreiben ist. Anfangs hatte ich echt Mühe, am Ende des Satzes noch zu wissen, um was es nun eigentlich ging. Genauso ging es mir mit den Metaphern – diese verschmelzen so schön mit dem Inhalt, dass ich manchmal nicht mehr wusste – was passiert jetzt und was ist einfach nur eine tolle Beschreibung? Ich vermute jedoch stark, dass zumindest letzteres gewünscht war.

Der Astronom kann Walnüsse pflücken und in Säcken auf dem Rücken zum Trockenboden tragen, er kann sie mit dem Messer knacken und mit warmen kräftigen Kinderfäusten aufdrücken, er kann ein krankes Seidenhuhn mit einem Besenstiel auf den Kopf schlagen, der leichte Schädel unter dem Gefieder ist klein und rund wie die Walnüsse, zerbrechlich wie chinesisches Teegeschirr, der Schädel knackt wie eine Walnussschale, das Blut läuft aus dem geraden Schlitz am Hühnerhals in den Eimer zwischen Zenos Knien, im Schuppen ist es dunkel, er muss nichts sehen, er spürt genau, wann das Herz des Huhns stillhält und wie es aussieht, wie ein grosser schwarzglasierter Backenzahn mit einer Krone aus festem weissem Fett, er fühlt, wann, ein paar Minuten später, die elektrischen Ströme im Hirn des Huhns in den Eimer getropft sind, Zenos Hände sind gepunktet mit Hühnerblut wie flüssige Sommersprossen.

Aus „Diese ganzen belanglosen Wunder“

Abgesehen von der bildgewaltigen Sprache arbeitet die Autorin auch mit vielen „Schockmomenten“. Während manche die Charaktere der unterschiedlichen Protagonisten gut unterstrichen, fand ich manche andere auch einfach ein bisschen too much und verstand auch nicht ganz, was diese zur Gesamtgeschichte beitragen. Andererseits lassen gerade diese Szenen den Leser das Buch kaum weglegen – man will einfach wissen, wie es weitergeht.

Jetzt bist du hier, mein Rattenkind, mein Federvieh, aus einem träumenden Nichts herausgefallen und in einer Zumutung gelandet, da musst du jetzt durch, und alt werden musst du auch, ein paar Jahre ohne Windeln und mit Zahnarztrechnung, das ist Erwachsensein, und dann alles zurück auf Anfang und du endest, wo du warst, bevor der Egoismus deiner Mutter dich hierher gezwungen hat, und all das, ohne dass dich einer auch nur gefragt hätte.

Aus „Diese ganzen belanglosen Wunder“

Ich mag Bücher besonders gerne, welche mich zum Nachdenken bringen. Wenn ich nach ein paar Tagen nicht mehr weiss, was ich da eigentlich gelesen habe, ist das natürlich kein Zeichen (ausser bei einer absoluten Wohlfühllektüre – die darf so sein). In diesem Buch hat mich sehr viel zum „guten“ Nachdenken gebracht, da viele wichtigen Themen angesprochen werden. Sei dies nun die Mutter-Kind Beziehung, problematische Abhängigkeiten, der Wunsch nach Zugehörigkeit oder der Umgang mit „aus der Gesellschaft ausgestossenen“.

Manche Parts haben mich aber auch einfach verwirrt zurückgelassen. Warum ist es ein explizites Ziel der Freunde, möglichst gelbe Zähne zu bekommen – wenn es geht sogar mit Löchern? Dass das Kind gerne durch Vorstädte schleicht und die anderen Familien beobachtet, verstehe ich. Aber warum muss er es nackt tun?

Sie hantieren still, zärtlich zwischen Messerkratzen und Porzellanquietschen, und sie sieht den Jungen von der Seite an wie den Haufen gelber Halbmonde aus Zehennägeln, den sie sich jede Woche einmal von den Füssen schneidet. Ein Material, das sie selbst ist und dann, mit einem Schnitt, etwas vollkommen Fremdartiges.

Aus „Diese ganzen belanglosen Wunder“

Grundsätzlich fand ich sämtliche Protagonisten zwar sehr toll ausgearbeitet – aber gleichzeitig auch irgendwie unsympathisch. Ich konnte ihre Handlungen zwar auf eine Art nachvollziehen, hätte es aber natürlich schon schöner gefunden, wenn ich gleichzeitig mehr Sympathie entwickeln könnte. Die ganze Geschichte war aufwühlend und traurig zugleich – und auch das Ende liess mich nicht ganz glücklich zurück – auch wenn es natürlich wunderbar passt.

Du siehst, das Buch hat mir ausgesprochen gut gefallen – auch wenn manche der fantastischen Aspekte dann doch fast too much waren. Wenn wir schon bei Metaphern sind – es ist wie ein unglaublich süsser Dessert – bei dem man sich nicht sicher ist, ob es ein bisschen weniger Zucker auch getan hätte und ob die Extrasahne wirklich sein muss. Aber andererseits sollte ein Dessert schliesslich süss sein, um mir zu gefallen.

Dieser Artikel erschien auf www.eigenerweg.com / Vielen Dank an den dtv Verlag für das Rezensionsexemplar. Fotos von mir selbst.

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