The Oxygen Advantage: Besser Atmen im Alltag und beim Laufen?

Eine grafische Darstellung des Brustkorbs und der Lunge

Hier ist ein interessanter Fakt: Wir können mehrere Wochen ohne Nahrung überleben, mehrere Tage ohne zu trinken, aber nur wenige Minuten ohne zu atmen.

Und jetzt denk mal kurz darüber nach, welchem dieser drei Aspekte – Essen, Trinken, Atmen – du die größte Bedeutung zuschreiben würdest, wenn es um deine Gesundheit und sportliche Leistungsfähigkeit geht.

Die meisten Menschen (ich schließe mich da ein) würden wohl die größte Stellschraube bei der Ernährung sehen, mit einigem Abstand gefolgt von der Flüssigkeitsversorgung … also was und wie viel wir tagsüber und während des Sports trinken, ob wir Alkohol konsumieren und so weiter.

An die Atmung würden wohl die wenigsten überhaupt einen Gedanken verschwenden. Geht es dir ähnlich?

Atmen beim Laufen

Dass wir der Atmung so wenig Aufmerksamkeit schenken liegt wahrscheinlich mit daran, dass sie größtenteils unbewusst im Hintergrund abläuft. Anders als bei unserer Ernährung kommt es uns vielleicht erstmal gar nicht in den Sinn, dass wir einen Einfluss auf sie haben. Und dass es beim Atmen ein Besser und Schlechter, vielleicht sogar ein Richtig und ein Falsch geben könnte.

Über meine Atmung in Ruhe oder im Alltag habe ich mir tatsächlich lange Zeit keinerlei Gedanken gemacht. Beim Laufen war das anders, denn die Atmung wird tiefer und schneller, wenn wir uns anstrengen, und rückt deshalb eher in unser Bewusstsein.

Trotzdem war ich bislang der Meinung, dass man keine allgemeingültigen Empfehlungen zur Atmung beim Laufen geben kann, und dass man hier einfach selbst herausfinden muss, was für einen funktioniert und was nicht.

Für mich bedeutete das, dass ich meine Atmung mit meinem Laufschritt synchronisierte und jeweils zwei Schritte durch den Mund ein- und zwei Schritte durch den Mund ausatmete. Ich konnte mir tatsächlich gar nicht mehr vorstellen, es irgendwie anders zu machen, und wunderte mich regelrecht über Katrin, deren Atmung beim Laufen keinem bestimmten Muster folgt und unabhängig von ihrem Laufschritt ist.

Ein Perspektivwechsel in Sachen Atmung

Wie du an meinen Ausführungen in der Vergangenheitsform erkennen kannst, ist in den letzten Wochen etwas passiert, was meine Perspektive auf die Atmung verändert hat. Richtig: Ich habe mal wieder ein Buch gelesen … sogar zwei, um genau zu sein 😉

Das erste Buch, für das ich eine klare Empfehlung ausspreche, ist Breath – The New Science of a Lost Art* (deutsch: Breath – Atem: Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens*) von James Nestor. Der Autor nimmt darin verschiedenste Atemlehren, -philosophien und -techniken unter die Lupe und macht sich sogar selbst zum Versuchsobjekt, indem er sich beispielsweise für zehn Tage die Nasenlöcher verschließen lässt.

Dieses Buch hat mein Interesse für das Thema Atmung geweckt und mir Lust darauf gemacht, tiefer in die Materie einzusteigen und mich auf ein paar Selbstexperimente einzulassen.

Und so bin ich als nächstes auf The Oxygen Advantage* (deutsch: Erfolgsfaktor Sauerstoff*) von Patrick McKeown gestoßen. In diesem Buch geht es um die sogenannte Buteyko-Methode, mit der man nach Ansicht des Autors nicht nur zahlreiche gesundheitliche Probleme in den Griff bekommen, sondern auch seine Leistungsfähigkeit beim Sport steigern kann.

Die Buteyko-Methode gehört in den Bereich der Alternativmedizin, was eine blumige Bezeichnung dafür ist, dass es bislang keinen überzeugenden Nachweis für ihre Wirksamkeit gibt. Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal über diese Methode gestolpert bin, hat mich das als rational veranlagten Menschen noch davon abgehalten, mich überhaupt weiter damit zu beschäftigen.

Diesmal war ich aber durch das oben erwähnte Buch von James Nestor offener und habe beschlossen, mich auf die Übungen und Empfehlungen der Buteyko-Methode einzulassen und mir (mit gesunder Skepsis) ein eigenes Bild davon zu machen.

Sauerstoff, Kohlenstoffdioxid und der Bohr-Effekt

Um die Annahmen der Buteyko-Methode zu verstehen, muss man erstmal eine Vorstellung davon haben, was beim Atmen überhaupt passiert. Und hier gab es für mich schon die ersten spannenden Erkenntnisse.

Beim Einatmen wird die Atemluft zunächst durch die Bronchien in die Lungenbläschen (Alveolen) transportiert. Dort wird der Sauerstoff an das Hämoglobin im Blut gebunden und anschließend über den Blutkreislauf zu den Organen und Geweben transportiert, wo er zur Energiegewinnung benötigt wird.

Bei diesem Stoffwechselprozess fällt in den Zellen Kohlenstoffdioxid (CO₂) an, welches wiederum über das Blut zurück zu den Alveolen gelangt und dort über die Lunge ausgeatmet wird.

Die Ein- und Ausatmung läuft weitgehend unbewusst ab und wird vom Atemzentrum im Gehirn gesteuert. Dieses reagiert dabei auf Veränderungen der Sauerstoff- und CO₂-Konzentration im Blut sowie des Blut-pH-Wertes.

Den größten Einfluss auf den Atemreiz hat dabei die CO₂-Konzentration, was mich überrascht hat. Wenn du die Luft anhältst und schließlich einen Atemreiz verspürst, dann wird dieser also nicht von einem Sauerstoffmangel, sondern von einem CO₂-Überschuss ausgelöst! Der Körper möchte das CO₂ „abatmen“ und die Konzentration wieder ins Gleichgewicht bringen.

Das Kohlenstoffdioxid ist aber nicht bloß ein Abfallprodukt, sondern es erfüllt im Rahmen des sogenannten Bohr-Effekts selbst eine wichtige Funktion beim Sauerstofftransport. Stark vereinfacht ausgedrückt kann das Blut den Sauerstoff besser an die Körperzellen abgeben, je mehr Kohlenstoffdioxid vorhanden ist.

Und an genau diesem Punkt setzt die Buteyko-Methode an.

Die Buteyko-Methode

Die Buteyko-Methode ist nach dem sowjetischen Arzt Konstantin Pawlowitsch Buteyko benannt, der sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in seiner Heimat bekannt machte und damit vor allem Zivilisationskrankheiten wie Asthma behandelte.

Die grundlegende Annahme Buteykos war, dass die meisten Menschen ZU VIEL atmen, also quasi ständig hyperventilieren. Ein dadurch entstehender „chronischer“ CO₂-Mangel (Hypokapnie) ist demnach die Ursache für zahlreiche gesundheitliche Probleme.

Die Buteyko-Methode zielt deshalb darauf ab, die Atemfrequenz und -tiefe dauerhaft zu reduzieren. Um das zu erreichen werden verschiedene Maßnahmen und Übungen eingesetzt, wie zum Beispiel:

  • konsequente Nasenatmung beim Ein- und Ausatmen, sowohl tagsüber als auch im Schlaf
  • Umstellung von Brust- auf Bauchatmung (Zwerchfellatmung)
  • vorübergehend verminderte Atmung, bei der ein milder „Lufthunger“ entsteht
  • Atempausen (Luft anhalten) in Ruhe und unter Belastung

Durch konsequentes Üben und Praktizieren dieser Maßnahmen soll eine Toleranz für höhere CO₂-Konzentrationen im Blut geschaffen werden, so dass man von den positiven Effekten des CO₂ profitieren kann – z.B. eine Weitung der Blutgefäße und eine bessere Sauerstoffversorgung der Zellen über den oben angesprochenen Bohr-Effekt.

Der BOLT-Score

Wenn du bis hierhin gelesen hast, dann scheint dich das Thema ähnlich zu faszinieren wie mich – und wahrscheinlich fragst du dich jetzt, wie es um deine eigene Atmung bestellt ist. Um herauszufinden, wie sensibel dein Atemzentrum auf Kohlenstoffdioxid reagiert, kannst du den sogenannten Body Oxygen Level Test (BOLT) durchführen, der auch in The Oxygen Advantage* eine zentrale Rolle spielt.

Der Test läuft folgendermaßen ab:

  • Komme zunächst sitzend oder liegend zur Ruhe und mache einige normale Atemzüge.
  • Halte schließlich am Ende einer normalen Ausatmung den Atem an und miss die Dauer bis zum ersten eindeutigen Anzeichen, dass dein Körper einatmen möchte.
  • Diese Anzeichen können sein: Ein Schluckreiz, ein unwillkürliches Verschließen der Atemwege, unwillkürliche Bewegungen der Atemmuskulatur oder des Zwerchfells
  • Sobald eines dieser Anzeichen erstmals auftritt stoppst du die Zeit (wichtig: es geht bei diesem Test NICHT darum, möglichst lange die Luft anzuhalten!).

Laut McKeown liegt der BOLT-Score in der Durchschnittsbevölkerung bei ca. 20 Sekunden und das Ziel sei es, ihn mit Hilfe der Übungen auf 40 Sekunden zu steigern.

Mein BOLT-Score liegt aktuell bei etwa 25 Sekunden. Wie sieht es bei dir aus? Schreib deinen BOLT-Score gerne in die Kommentare! 🙂

Meine aktuellen Atem-Experimente

Zum Abschluss will ich dir natürlich noch verraten, was ich selbst gerade in Sachen Atmung ausprobiere und welche Erfahrungen ich bislang gemacht habe.

Zunächst einmal haben mich beide Bücher davon überzeugt, dass wir in erster Linie durch die Nase atmen und die Mundatmung auf ein Minimum reduzieren sollten. Ich achte nun also verstärkt darauf, im Alltag durch die Nase ein- und auszuatmen … auch beim Essen und bei körperlicher Anstrengung (Hausarbeit, Spaziergänge, Krafttraining usw.).

Um auch im Schlaf eine Nasenatmung zu garantieren, verschließe ich mir seit einigen Tagen nachts den Mund mit einem medizinischen Klebeband. Das klingt zwar erstmal merkwürdig, ich habe mich aber schnell daran gewöhnt und es stört mich kein bisschen. Ich schnarche gelegentlich, und Katrin hat mir bestätigt, dass ich mit dem Klebeband keinerlei Geräusche von mir gebe 🙂

Tagsüber lenke ich jetzt häufiger meine Aufmerksamkeit auf die Atmung und versuche auf einen ruhigen Atemrhythmus zu achten (James Nestor gibt die optimale Atemfrequenz in Breath* mit 5-6 Atemzügen pro Minute bzw. 5,5 Sekunden pro Ein- und Ausatmung an).

Und schließlich taste ich mich auch beim Laufen und beim Rudern auf unserem WaterRower an die Nasenatmung heran und experimentiere mit verschiedenen Atemrhythmen. Bei ruhigeren Dauerläufen kann ich inzwischen durchgehend durch die Nase atmen, was für mich bis vor Kurzem noch völlig unvorstellbar war. Und bei flotteren Läufen wechsle ich zwischen kompletter Nasenatmung und einer 50%-Nasenatmung, bei der ich jeden zweiten Atemzug durch den Mund nehme.

Die weitergehenden und intensiveren Übungen aus The Oxygen Advantage* wie z.B. Luft anhalten in Ruhe und während des Laufens oder die Reduktion der Atmung bis zum milden Lufthunger habe ich noch nicht eingesetzt, weil ich zunächst einmal die Nasenatmung verinnerlichen und eine bessere Grundlage dafür schaffen möchte.

Ob sich diese Maßnahmen mittel- bis langfristig positiv auf meine Leistungsfähigkeit auswirken werden (und ich wie McKeown verspricht dadurch sogar meine VO2max verbessern kann), das bleibt abzuwarten. Mein subjektives Gefühl ist aber, dass mir die Beschäftigung mit der Atmung definitiv gut tut und hier durchaus noch Potenzial für mein Wohlbefinden und meine Fitness vorhanden ist.

Und jetzt bin ich natürlich gespannt: Hast du dich auch schon mit dem Thema Atmung beschäftigt? Welche Erfahrungen hast du gemacht und welche Tipps kannst du mit mir und der beVegt-Community teilen? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

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Der Beitrag The Oxygen Advantage: Besser Atmen im Alltag und beim Laufen? ist zuerst auf beVegt – vegan leben und laufen erschienen.

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