Nach der Ironman WM Hawaii: Gute Zeiten für den Frauensport – oder?

Es war das Begleitthema der Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii 2023: die Idee, den Frauen die ganz große Bühne mit einer WM ohne Männerrennen zu bieten. Aber ist der Plan aufgegangen? Und wo steht der Frauensport nach diesem historischen Momentum? Ein erster Blick auf das, was war, und das, was nun kommen muss. (Text: Lena; Bilder: Donald Miralle, Tony Svensson / for Ironman)

Das war sie also, die erste Weltmeisterschaft auf Hawaii, der Insel aller Triathlonträume, die ausschließlich mit einem Rennen für die Frauen ausgetragen wurde. Zum ersten Mal gab es eine Race-Week, in der sich alles um die Geschichten, Renntaktiken, Setups, Leistungen der Frauen drehte. Zum ersten Mal gab es eine Nationen-Parade, in der ausschließlich Athletinnen gefeiert wurden. Und zum ersten Mal gingen von Hawaii ausschließlich Bilder von Frauen raus in die Sportwelt. All das steht nun also auf der Haben-Seite – aber ist auch das Soll erfüllt? War’s, alles in allem, eine gelungene Premiere? Und: Was hat’s denn nun gebracht?

Klar ist, Antworten auf diese Fragen zu finden, wird die Aufgabe in den kommenden Wochen und Monaten sein. Ob den Sport das alles nun nach vorne gebracht hat, kann sich erst mit der Zeit zeigen. Und, so neunmalklug das auch klingen mag, es liegt letztlich auch an uns allen.

Immerhin einen Anfang kann man ja schon mal machen. Und zwar mit einem Blick auf einzelne Bereiche, in denen diese WM jetzt schon Spuren hinterlassen hat oder haben sollte.

Im Sport: eine neue Ära!

Mit 16 Frauen mit einem Sub-9-Finish, einem neuen Streckenrekord (8:24:31, Lucy Charles-Barclay), einem neuen Marathon-Rekord (2:48:23, Anne Haug) und zwei deutschen Frauen auf dem Podium auf Hawaii kann man eines festhalten: Im Frauensport wurde in sportlicher Hinsicht bei dieser WM nichts weniger als eine neue Ära eingeläutet. Klingt so episch, wie es gemeint ist. Und ganz generell müssen wir das nach dieser Saison resümieren – Stichwort: 8:08:21 (Weltbestzeit aufgestellt von Daniela Ryf beim Challenge Roth 2023).

Das wiederum ist ein Fazit, das sich an mehreren Stellen im Frauen-Ausdauersport ziehen lässt. Ende September wurde beim Berlin Marathon mit 2:11:53 (Tigist Assefa) ein neuer Weltrekord aufgestellt, der den alten ganz locker um zwei Minuten pulverisierte. Wahnsinns-Ding! Auf die Frage, ob es leistungstechnisch gerade gute Zeiten für den Frauensport sind, kann man also nur mit einem überzeugten Ja antworten. Und die Leistungen, die an diesem Samstag/Sonntag in Kona gezeigt wurden, machen deutlich, dass Frauensport nicht „Ringelpietz mit Anfassen“ ist, sondern: ganz großer Sport auf neuem Top-Level. Hier geht weiterhin einiges.

Unterstrichen wird das im Triathlon übrigens zusätzlich beim Equipment: Natascha Badmann erinnerte dieser Tage in verschiedenen Interviews daran, dass es früher, zu den Zeiten ihrer Siege auf Hawaii, durchaus deutliche Unterschiede gab. Dass das Material der Frauen dem der Herren – zumindest im Profi-Segment! – in nichts nachsteht und dass auch hier längst der Bereich der „Marginal Gains“ erreicht ist, daran bleibt nach dieser WM kein Zweifel. Schuhe, Trisuits, Helme, Bikes … auch die Frauen sind auf Stand; auch in ihr Material investieren die Sponsoren und Ingenieur-Teams.

In der Sportentwicklung: ein Umdenken?

Sport hin, Sport her: Ebenso neuartig für so manchen mögen die Themen gewesen sein, die im Zuge der Berichterstattung, Interviews und drumherum in der Race-Week auf die Agenda kamen. Vereinbarkeit von Mutterschaft und sportlicher Top-Leistung, Rahmenbedingungen für Frauen im Sport, Rechte und Gleichstellung … klare Sache: Die Athletinnen nutzten den Fokus, um all diese Themen anzusprechen. Zum Glück. Denn das gehört nun einmal dazu, wenn man den Sport wirklich so weiterentwickeln und realitätsnäher gestalten möchte, wie es im Vorfeld unter anderem von Ironman angekündigt wurde. Dazu ein paar Statements, die im Laufe der Woche zu diesem Thema gefallen sind und die zeigen, wie eigentlich die Profi-Athletinnen selbst darüber denken:

„Der Sport entwickelt sich weiter und es kommen mehr Athletinnen hinzu. Die Qualität ist dadurch enorm geworden.“
Anne Haug

„Wie ich es schaffe, Job, Privatleben und den Sport unter einen Hut zu bringen? Vermutlich so, wie es die anderen 2.000 Frauen machen, die hier an den Start gehen.“
Sarah True

„Ich glaube an die Kraft von Sport und freue mich, dass wir hier gemeinsam den Frauensport feiern – und zwar indem wir mehr tun, als nur über das Endergebnis zu sprechen.“
Chelsea Sodaro

„Es fühlt sich jetzt schon besonders an, von so viel Frauenpower umgeben zu sein. Das ist etwas, das wir im Triathlon so nicht kennen. Ich freue mich darauf, dieses Rennen mit mehr als 2.000 unglaublichen Frauen zu teilen.“
Laura Philipp

Da ist nicht nur einiges Wahres dran, es zeigt auch, dass neue Chancen für den Triathlon entstanden sind. Ich kann aus meiner Zeit bei einer reinen Frauen-Community nur unterstreichen, wie wichtig die Arbeit ist, die die Frauen dahinter machen: Es ist und bleibt eine wahnsinnig tolle Stimmung, die entsteht, wenn Frauen unter sich sind, sich gegenseitig supporten, anfeuern, ermutigen – und eine Stimmung, die Frauen überhaupt erst den Raum geben, ihren Weg in diesen Sport zu finden. Diese Frauenpower, von der Laura da spricht, mag auf Profiebene neu gewesen sein, sie ist aber umso essentieller im Agegrouper-Bereich. Wenn der Sport auf einem neuen Level gedacht und gelebt werden soll, dann müssen eben diese Communitys (z.B. sportingwomen, Fräulein Triathlon) für ihre Arbeit mehr gefeiert werden. Und mit ihnen auch die Frauen dahinter. Denn einfach ist der Weg nicht, den sie damit eingeschlagen haben. Allein das verdient Respekt.

In der Branche: Bestandsaufnahme.

Die Entscheidung, den Frauen eine eigene Bühne zu bieten, hatte nicht nur für Athletinnen und Fans Konsequenzen. Auch und gerade die Industrie stand mit dieser Entscheidung vor Herausforderungen. Ich denke, in Bockis Briefing (Grüße gehen raus!) in der Vorberichterstattung zu Nizza ist deutlich geworden, dass diese zwei Renntage an zwei völlig verschiedenen Orten für Sponsoren mit zusätzlichem Aufwand und zusätzlichen Kosten verbunden waren. Folgen, die den Sport nicht uneingeschränkt nach vorne bringen – ganz egal, ob nun Frauen oder Männer. Und so waren die Stimmen, die uns von der Insel aus erreicht haben, auch ebenso durchmischt.

Die einen berichteten von mehr Ruhe und einem insgesamt entspannten Flair. Die anderen hätten sich mehr Trubel gewünscht. Hierzulande, auf der anderen Seite der Welt, kam der Content an. Eigentlich so wie immer. Aber eine richtige Einschätzung konnte eben nur von vor Ort gemacht werden. Nachfrage auf der Insel: „Die Stimmung ist super entspannt – auf der gesamten Insel. Für mich ist es das erste Mal hier, aber tatsächlich ist das auch das Feedback, das mir alle geben, die zuvor hier waren“, antwortet Lisa Hassig (AG1). „Ich denke, dass der Plan der Fokussierung auf die Frauen aufgegangen ist. Das wurde hier auch von allen betont, von den Athetinnen selbst, aber auch bei Side-Events. Aber es war eben auch ungewohnt, dass keine Männer am Start waren.“ Und sie fügt hinzu: „Grundsätzlich ist es spannend, zwei WM-Strecken zu haben. Aber die Magie von Kona ist doch etwas Besonderes.“

Auch für Sponsoren war das Projekt „Women only“ auf Kona also eine Gelegenheit für die Bestandsaufnahme. Und das Fazit ist auch mit einer Aufgabe und Mission für die Zukunft verbunden, wie es Lisa zusammenfasst: „Ich wünsche mir für die Zukunft, dass weniger in Stereotypen gedacht wird – das ist vor allem produktseitig wichtig. Es muss nicht alles Pink sein, um Frauen anzusprechen. Ich beispielsweise fühle mich davon überhaupt nicht abgeholt. Frauen den Sport zugänglicher zu machen, ist entscheidend.“

Ob das durch eine Trennung der beiden Austragungsorte gelingt, ist allerdings offen. Denn auch das muss Teil der Bilanz sein: Der Tonus in der Szene ist klar, dass sich viele eine gemeinsame WM wünschen – und zwar auf Hawaii.

In der Zukunft: jetzt oder nie.

So, was nehmen wir also mit aus dieser Race-Week? Ich denke, als Frau, die den Sport liebt, sich 24/7 damit auseinandersetzt, selbst Triathlon macht, so gut wie alles an Content, was es zu dieser WM gab, in den letzten Wochen rezipiert hat, und mittlerweile in dieser Branche arbeitet, an Grenzen und auf einige Herausforderungen gestoßen ist, darf ich an dieser Stelle auch ein persönliches Fazit ziehen.

Es macht mich enorm glücklich, zu sehen, dass das Frauenrennen in sportlicher Hinsicht dem der Männer in nichts nachgestanden hat, dass die Berichterstattung der einer WM würdig war, dass Themen angesprochen wurden, die sonst schnell mal untergehen, dass Frauen nicht auf den für den europäischen Markt ungünstigen Donnerstagnacht-Slot verwiesen wurden, dass die Profis ihr Ding durchgezogen haben, dass der Fokus da war, wo er sein sollte. Und gleichzeitig weiß ich, dass es eigentlich auf das Jetzt, das Danach ankommt – und zwar mehr als je zuvor.

Wenn wir den Schwung nicht mitnehmen, fangen wir nächstes Jahr wieder von vorne an. Nicht, dass wir nicht wüssten, wie das mit dem Hinfallen-Aufstehen-Weitermachen geht. Aber ich würde mir wünschen, dass wir den Fokus auf all die Themen und Leistungen der Frauen auf natürliche Weise etablieren und daraus nicht jedes Jahr etwas Besonderes machen müssen. Ich persönlich wünsche mir also Parität, die keine Sensation, sondern Standard ist.

Denn zur Wahrheit gehört auch: Es macht mich zugleich unendlich traurig, wenn ich Kommentare unter Beiträgen lese wie „Mich nerven diese politischen Statements!“ (während des Ironman-Livestreams); Hate-Kommentare, wenn man gendert oder wenn Frauen eben über das sprechen, was sie beschäftigt; oder wenn Sebastian Kienle gefragt wird, (sinngemäß) ob das eigentlich so ein Frauen-Ding sei, dass man so bunte Bikes haben würde (und ich bin umso erleichterter, dass er direkt deutlich machen konnte, dass Custom-Paint-Jobs kein Chichi-Getue von Frauen ist, sondern gängige Praxis im professionellen Sport!). Ja, all das ist eben auch rund um die WM passiert – und weit weg von Fortschritt oder Veränderung.

Zum Glück weiß ich, dass es einige Menschen auf Athleten- und Industrieseite gibt, die daran im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas ändern möchten – und auch nicht müde werden, darauf hinzuweisen. So unbequem das auch sein mag, so wichtig ist es. Mir selbst gelingt es im Joballtag keinesfalls immer, am selbstgesteckten Ziel dranzubleiben. Da muss ich mir schon an die eigene Nase packen. Aber den Frauen mehr Raum zu geben, bedeutet auch nicht, die Männer gar nicht mehr zu thematisieren. Wie so häufig im Leben, und im Sportjournalismus im Speziellen, geht’s um Balance – und darum, den Sport als Ganzes darzustellen. Frauen und Männer sind darin beide zu gleichen Anteilen relevant, wie in der gesamten Weltbevölkerung übrigens. Und sie gehören, auch das ist meine persönliche Meinung, deswegen auch alle anlässlich einer (!) WM auf eine Insel im Pazifik. Mit kleineren Starterfeldern, dafür mit mehr Machbarkeit für die lokale Bevölkerung, die Infrastruktur, die Portemonnaies der Athletinnen und Athleten sowie den Sport.

Umso wichtiger ist es also, dieses „Jetzt oder nie!“-Gefühl in Taten zu verwandeln. Und vielleicht konnte dieser Artikel dafür ja einen ersten Beitrag leisten – als solcher ist er jedenfalls gemeint. Oder um es mit den Worten derjenigen zu sagen, um die es dieser Tage bei diesem Vorhaben ankam, nämlich die Profi-Athletinnen, die als Sprachrohr ebenjene Themen stellvertretend für viele auf die Agenda bringen (müssen):

„Wir haben ein Gleichstellungsproblem im Triathlon, wenn wir beachten, dass weitaus mehr Männer in diesem Sport an den Start gehen. Und ich denke nicht, dass das daran liegt, dass Frauen keine Lust haben, Triathlon zu machen – es liegt im Kern daran, dass sie nicht die Rahmenbedingungen haben, die sie benötigen, um diesen Sport machen zu können. Daran müssen wir etwas ändern.“
Chelsea Sodaro

 „Ja, es gibt ein Gleichstellungsthema. Aber wir müssen gleichzeitig auch dankbar für das sein, was wir hier erleben. Denn damit gehen wir mit gutem Beispiel voran und zeigen auch anderen Sportarten, was alles möglich ist.“
Taylor Knibb

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