Buchbesprechung: Der Haben-Wollen-Reflex

Dieser Beitrag enthält eine Rezension (Rezensionsexemplar erhalten) und Links. Mehr dazu hier.

Wenn ich Dich heute fragen würde, warum Du die Kleidung anhast, die Du gerade trägst, könntest Du mir wahrscheinlich viele unterschiedliche Antworten geben. Sie ist bequem. Die Farbe gefällt Dir. Sie ist warm. Aber würdest Du auf die Idee kommen, dass Du sie primär trägst, weil du jemanden nachahmst? Ganz ehrlich – vor der Lektüre dieses Buches hätte ich bei dieser Behauptung vehement mit dem Kopf geschüttelt, vielleicht sogar spöttisch darüber gelacht. Ich bin doch einzigartig, ich ahme niemanden nach.

Dass dies möglicherweise nicht so ganz der Wahrheit entspricht und wie genau die Macht der Nachahmung unser Leben bestimmt, erfährst Du in Der Haben-Wollen-Reflex von Luke Burgis.

Der Inhalt

Selten hat mich ein Buch so sehr begeistert, wie dieses. Während ich der Thematik Anfangs durchaus skeptisch gegenüberstand, hat mich der Autor von Seite zu Seite mehr in seinen Bann gezogen. Viele – ach was – fast alle – menschlichen Verhaltensweisen lassen sich mit mimetischem Begehren erklären. was zuvor unlogisch erschien, macht nun plötzlich Sinn. Und ja – ich hatte durchaus meine Schwierigkeiten, aus der Vielzahl an spannenden Zitaten ein paar wenige auszusuchen.

Sobald unsere grundlegenden Bedürfnisse als biologische Wesen allerdings erfüllt sind, betreten wir das menschliche Universum des Begehrens. Und zu wissen, was man will, ist wesentlich schwieriger als zu wissen, was man braucht.

Aus „Der Haben-Wollen-Reflex“

Grundsätzlich geht es bei mimetischem Begehren tatsächlich einfach darum, dass sämtliche unserer Bedürfnisse üblicherweise nicht tief aus unserem Inneren kommen – sondern auf einer Nachahmung beruhen. Das klingt nun ziemlich simpel, ist in Wirklichkeit aber durchaus komplex. So macht es z.B. einen grossen Unterschied, ob Du ein Vorbild in Celebristan hast (Unerreichbare Stars und Idole) oder in Freshmanistan (quasi der Student neben Dir).

Interessanterweise sucht sich auch nicht jeder seine Vorbilder selbst – stattdessen sind wir dabei auch von einer Art „sozialen Ansteckung“ betroffen. Je nachdem können dabei positive oder sehr destruktive Kreisläufe in Gang gesetzt werden.

Es ist das Paradoxon der Wichtigkeit: Manchmal kommen die wichtigsten Dinge im Leben ganz einfach zu uns – sie erscheinen als Geschenke – während wir für viele der unwichtigsten Dinge am härtesten arbeiten.

Aus „Der Haben-Wollen-Reflex“

Wenn Menschen aufgrund von Zeit, Raum, Vermögen oder Status weit genug von uns entfernt sind, dann gibt es keine Möglichkeit, mit ihnen ernsthaft um die gleichen Chancen zu konkurrieren. Wir sehen die Vorbilder in Celbristan nicht als bedrohlich an, weil wir ihnen wahrscheinlich zu unwichtig sind, als dass unsere Begierden die ihrigen werden könnten.

Aus „Der Haben-Wollen-Reflex“

Der Autor befasst sich dabei aber nicht nur mit einzelnen Personen. Statt dessen analysiert er auch treffsicher, warum in Gruppen gewisse Dynamiken entstehen. Warum werden manchmal Sündenböcke gewählt und warum haben wir in anderen Situationen (resp. Zeitaltern) plötzlich Mitleid mit den unschuldigen Opfern?

Selbstverständlich sind wir dem mimetischen Begehren jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Der gesamte dritte Teil des Buches befasst sich mit Strategien, wie man sich erst einmal bewusst wird, was man sich überhaupt wünscht (und warum) und wie man dies schlussendlich auch beeinflussen kann.

Durch den Sündenbock-Mechanismus wird laut Girard ein Krieg von allen gegen alle zu einem Krieg von allen gegen einen. So entsteht ein temporärer Frieden, weil die Menschen durch das Richten ihrer gesamten Wut auf einen Sündenbock ihre mimetischen Konflikte für eine Weile vergessen.

Aus „“Der Haben-Wollen-Reflex“

Ich fand es dabei genial, dass der Autor durchaus tiefer geht, als in den üblichen „Tschaka-Du-schaffst-das“ Selbsthilfebüchern. Seine Ratschläge sind wissenschaftlich fundiert und fühlen sich richtig rund an. Gleichzeitig hast Du jedoch nie das Gefühl, einem Oberlehrer zuzuhören, im Gegenteil. Der Autor hat einen angenehmen Schreibstil, der manchmal mitreissend ist, manchmal Fragen aufwirft und ganz oft Aha-Effekte auslöst.

Gerade die Kombination zwischen Theorie, spannenden Beispielen und konkreten Ratschlägen hat dafür gesorgt, dass ich dieses Buch unglaublich gerne gelesen habe. Ich kann es daher wirklich nur jedem ans Herz legen – egal in welchem Bereich – es wird Dich sicherlich ein Stück weiterbringen.

Dieser Artikel erschien auf www.eigenerweg.com / Vielen Dank an die VAK Verlags GmbH für das Rezensionsexemplar. Fotos von mir selbst.

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